28.06.2025
Wer war noch nicht in Görlitz? Zu DDR-Zeiten leider total heruntergewirtschaftet, nach der Wende wunderschön restauriert – tolle Architektur in sehr schöner Landschaft (Neiße, Landeskrone, Zittauer Gebirge). Eine der sehr wenigen Städte, in denen ich mich relativ wohl fühle (Städte sind sonst eher nicht so mein Biotop). Hier und da stehen noch Reste aus dem „real existierenden Sozialismus“ herum und nach nunmehr 35 Jahren beginnen auch die ersten restaurierten Gebäude schon wieder leichte Verfallserscheinungen zu zeigen. Da muss man einfach dran bleiben. Rust never sleeps.
Wir fahren ziemlich regelmäßig ein Mal im Jahr dorthin, besuchen Freunde und genießen die Stadt und die Umgebung. Das haben wir auch schon mit unseren ZOEs gemacht, sogar mit der ersten, die nur eine Sommerreichweite von knapp 150km hatte (dafür aber mit 43kW AC laden konnte, damals revolutionär). Wer mag, kann meine Berichte über einige dieser Reisen in meinem alten ZOE-Blog nachlesen, sich dabei vielleicht gruseln und hoffentlich unseren Pioniergeist würdigen: 2017, 2021 und ein letzter Bericht von 2022.
Auch mit unserem MG4 Electric waren wir schon in Görlitz. Ich war nur zu faul, darüber zu schreiben. Das hole ich hiermit nach.
Von unserem Dorf bei Hannover bis Görlitz sind es rund 480km, und man kann entweder über die A2, A14 und A4 fahren (das geht dann über Magdeburg) – oder über die A7, A36, A14 und A4 (die schönere und bis zur A14 meist weniger befahrene Strecke an Wernigerode vorbei). Wir nehmen die letztere.
Es ist das Pfingstwochenende, und wir fahren am Freitag hin und am Dienstag wieder zurück, um nicht voll in den Feiertagsverkehr zu geraten. Die Rechnung geht auf.
Mit dem 64kWh-Akku schafft unser MG4 Electric Comfort im Sommer bei moderater Geschwindigkeit eine Reichweite von 400-450km, das ist toll, reicht aber nicht, um auf dieser Strecke ohne Zwischenladung auszukommen. Wenn wir eine so lange Fahrt vor uns haben, will ich auch ein wenig schneller als sonst unterwegs sein: Tempomat 120 statt wie sonst 100. Aber eine Zwischenladung reicht dann aus, um locker nach Görlitz zu kommen, mit genug Restreichweite, um vor Ort nicht sofort wieder eine Ladesäule ansteuern zu müssen.
Seit Tesla seine Supercharger für alle geöffnet hat, lade ich auf Fernstrecke fast ausschließlich an diesen. Das SuC-Netzwerk ist dicht, es ist immer eine Säule frei und ich habe noch nie erlebt, dass es gar nicht möglich war, dort zu laden. Unser MG4 zieht in der Spitze bis zu 140kW; von 10-80% SOC dauert es keine halbe Stunde.
Ja, es mag vielleicht preisgünstigere Ladestromanbieter geben, aber nach nunmehr 12 Jahren elektrischen Fahrens bin ich es auch langsam leid, mich vor jedem Auswärtsladen durch einen Haufen Apps und Foren zu wühlen, nur um den aktuellen Schnäppchenfavoriten ausfindig zu machen, der mir ein paar Mal im Jahr ein paar Euro spart. Die Tesla-Supercharger sind aus meiner Erfahrung die zuverlässigste Schnelllademöglichkeit unterwegs, und für diese Sicherheit zahle ich gern ein paar Cent/kWh mehr.
Nicht mal das muss so sein: Tesla bietet eine „Mitgliedschaft“ an, ein monatlich kündbares Abonnement für aktuell 9,99€ Grundgebühr/Monat, mit der man an den Superchargern zu gleichen kWh-Preisen wie Tesla-Fahrer laden kann. An den meisten SuC bleibe ich damit unter 50ct/kWh, bis runter zu 43ct/kWh. Kurz überschlagen: Die Grundgebühr habe ich schon nach nur 2 Ladungen wieder raus (im Vergleich zu den „normalen“ Preisen für Fremdfabrikate).
Da wir Ende Juni auch in unseren Jahresurlaub nach Österreich aufbrechen, lohnt es sich für uns, über den Sommer ein solches Mitgliedschafts-Abo abzuschließen. Das geht unkompliziert mit ein paar Tips in der Tesla-App. Nach unserem Urlaub kann ich es sofort wieder kündigen.
Nun gibt es ja Leute – und offenbar nicht wenige –, die sich, seit Elon Musk durchaus bizarre Aktivitäten entfaltet, plötzlich schämen, einen Tesla zu fahren. Etliche pappen sich sogar einen Sticker auf ihr Fahrzeug, um zu versichern, dass sie ihn kauften, bevor Elon „went nuts“. Hm. Wofür genau glaubt ihr, euch rechtfertigen zu müssen? Dafür, dass ihr ein fortschrittliches, emissionsfreies Auto gekauft habt, das eure Mitmenschen beim Fahren nicht vergiftet und keine problematischen Energieträger aus problematischen Ländern benötigt? Habt ihr schonmal einen VW gesehen mit einem Aufkleber „Ich kaufte ihn vor dem Dieselbetrug“? Ich auch nicht. Welche Firma von beiden hat nun effektiv mehr für die Senkung von Emissionen im Straßenverkehr getan? VW würde sehr wahrscheinlich heute noch ausschließlich Verbrenner produzieren, wenn es Tesla nicht geben würde.
Ford, General Motors und Toyota spendeten übrigens Millionen für die Feierlichkeiten zu Trumps Amtseinführung (Quelle), und speziell Toyota lobbyiert auf hochgradig fragwürdige Weise weltweit gegen strengere Emissionsstandards und unterstützt Politiker mit radikalen umwelt- (und demokratie-)feindlichen Ansichten. (Quelle) Auf Autos dieser Hersteller sehe ich auch keine Sticker, die sich davon distanzieren würden.
Ich schramme hier gerade an Whataboutism entlang, ist mir klar. Aber diese selektive political correctness in Bezug auf Tesla halte ich für extrem bigott. Daher (um die Kurve wieder zurück zu kriegen) lade ich ohne jedes schlechte Gewissen am Supercharger. Wer ist nochmal Elon?
Als geeigneten Ort für die Zwischenladung wähle ich den Supercharger an der A14 in/bei Leipzig. Bis dahin sind es rund 270km, also sehr lässig erreichbar, und nach knapp 3 Stunden Fahrt ist ohnehin eine Pause nötig. Von dort nach Görlitz sind es dann nochmal rund 215km.
Das schnelle und seltenere Aufladen unseres MG4 auf Langstrecke beschert uns ganz andere (Luxus-)Probleme als die längeren und häufigen Ladepausen, die wir mit unseren ZOEs machen mussten: In letzteren Fällen konnten wir immer gemütlich und in Ruhe Essen gehen, während das Auto lud – das haut nun mit den maximal halbstündigen Ladepausen nicht mehr hin. Wer will schon schlingen? So entsteht Ladestress an ganz unerwarteter Stelle. Wir lösen es hier so: Ran an die Ladesäule, dann kurz durch ein paar Märkte in der Nähe schlendern, nach einer halben Stunde (die in nullkommanix rum ist) abstöpseln, umparken und dann in Ruhe Essen gehen.
Um's Eck ist ein chinesisches All-you-can-eat-Restaurant, was uns erst ein bisschen zögern lässt. Aber glücklicherweise überwinden wir unsere Vorurteile gegenüber All-you-can-eat-Locations, gehen die Treppe hoch, bekommen durchschnittlich gutes Buffet-Essen und begegnen: dem ersten Bedienroboter unseres Lebens. Der hat ein Katzen-Interface (natürlich!), macht durch chinesische Kindermusik auf sich aufmerksam und bringt uns unsere Getränke an den Tisch. Und wenn man ihn am Katzenohr streichelt, miaut er. Wir sind hin & weg.
In Görlitz verbringen wir ein paar sehr schöne Tage. Wir schlendern durch die Altstadt, wo ich u. a. diesen etwas unüblichen Anbringungsort für eine Wallbox entdecke:
Als uns ein heftiger Regenschauer überrascht, suchen wir in einem alten Hausflur Unterschlupf. Einer offen stehenden Kellertür kann meine Neugier nicht widerstehen, und ich finde im Gewölbe eines Heizungskellers dieses offensichtlich Steampunk-inspirierte Installationskunstwerk:
Auf der polnischen Seite der Stadt, in Zgorzelec, war ich noch nie, das hole ich diesmal nach. Am deutschen Ende der Altstadtbrücke, über die wir zu Fuß die Neiße überqueren, sind neuerdings etliche Überwachungskameras installiert. Zwei Polizisten stehen dort ebenfalls. Unsere Freunde sagen, besser, man hat den Ausweis dabei. Hm. Das war alles schonmal wesentlich entspannter hier.
Wir laufen zum Dom Kultury, auch „Ruhmeshalle“ oder „Oberlausitzer Gedenkhalle“ betitelt. Heute fungiert sie als Kulturhaus der Stadt Zgorzelec. Zu wessen Ruhm und Gedenken wurde das imposante Gebäude 1898-1902 erbaut? Natürlich wieder irgendwelcher Kaiser, deren neue Kleider hier damals mit Baukosten von 527.600 Mark zuzüglich 224.600 Mark für den Ankauf diverser Standbilder und Büsten zu Buche schlugen. (Heute wären das grob geschätzt 50-70 Millionen Euro.) Wer die wohl bezahlt hat? Sehr groß von den Polen, dieses Monument ihrer Unterdrücker nicht einfach plattgemacht, sondern erhalten zu haben. Wo kommen eigentlich immer all diese komischen Kaiser und Könige und sonstigen fragwürdigen Gestalten der „Weltgeschichte“ her? Wer war der Erste, der plötzlich rumgetönt hat: Das hier ist meins, Pfoten weg, und zahl mir gefälligst Tribut, sonst gibt's aufs Maul! Und warum wurde er nicht einfach ausgelacht?
Am polnischen Ende der Altstadtbrücke gibt's sehr leckeres Pistazieneis.
Da es in und um Görlitz herum keine Tesla-Supercharger gibt, suche ich nach einer Alternative, mit der wir unseren MG4 vor der Rückfahrt so voll bekommen, dass es wieder bis Leipzig reicht. Möglichst ohne dass es uns arm macht.
Ich finde und nutze einen EnBW-Schnelllader in der Christoph-Lüders-Str. Passt.
Verläuft unspektakulär. Wir laden wieder wie geplant in Leipzig, fahren an Wernigerode vorbei und kommen entspannt zu Hause an.
Elektromobile Fernfahrten sind mit dem MG4 und der Tesla-Ladeinfrastruktur stinknormal, bequem und easy. Wären wir mit einem Verbrenner schneller? Nein – wir hätten genau so lange Pausen gemacht. Auf geht's nach Osttirol!
Stay tuned!