20.01.2023
Während meiner Probefahrt im Oktober 2022 hatte mich ja der Spurhalteassistent hochgradig irritiert. Zum einen, weil er mir viel zu ungestüm zu Werke ging, zum anderen, weil er anscheinend trotz Abschaltung der entsprechenden Funktion im Info-Screen weiterhin aktiv blieb.
Das erste Problem hat sich mittlerweile anscheinend und hoffentlich wenn nicht erledigt, so doch deutlich entschärft: Es gab ein Software-Update. Wie MG4-Fahrer im GE-Forum berichten, greift der Spurhalteassistent nach diesem Update in unklaren Situationen nun nicht mehr oder sehr viel sanfter ein.
Sehr schön, genau darauf hatte ich ja spekuliert: dass während meiner Wartezeit solche Kinderkrankheiten von Seiten des Herstellers auskuriert werden.
Um das andere Problem auseinanderzuklamüsern, müssen wir erstmal ein paar Grundbegriffe (er-)klären. Es gibt im MG4 Electric nämlich zwei bzw. sogar drei verschiedene Spurhalteassistenzsysteme: Spurhalteassistent (LKA), Spurhalteassistent als Komponente vom ACC im TJA-Modus (Erklärungen folgen) und im Luxury noch einen Notfall-Spurhalteassistenten (ELK).
LKA = englisch „Lane Keeping Assist“. Das ist der, den ich auf meiner Probefahrt nach den ersten Irritationen im Infotainment-Screen unter „MG-Pilot“ >>> „Spurhaltung“ ausgeschaltet hatte.
Im MG4-Handbuch steht, dass sich dieser Assistent, wenn aktiv, erst ab 60km/h einschaltet und sich unter 55km/h ausschaltet (S. 234 f.).
ACC = „Adaptive Cruise Control“ – das ist der adaptive Tempomat, oder auch Abstandsregeltempomat. Und der hat im MG4 Electric noch einen speziellen Modus: TJA = „Traffic Jam Assist“, im Handbuch als „Verkehrsstauvermeidungssystem“ übersetzt.
Jetzt wäre es natürlich absolut verblüffend, wenn es den Chinesen gelungen sein sollte, ein System zu entwickeln, das Staus vermeidet. ;-) Aber man steht mit einem MG4 Electric natürlich genau so im Stau wie jeder andere auch. Lediglich das Handling des Fahrzeugs wird erleichtert.
Das Handbuch ist hier leider sehr unkonkret, ja geradezu kryptisch:
„Das Verkehrsstauvermeidungssystem funktioniert auf der Basis der adaptiven Geschwindigkeitsregelung. Wenn die Fahrspurmarkierungen auf beiden Seiten deutlich erkennbar sind, wird das System den Fahrer beim Spurhalten unterstützen. Wenn mit niedriger Geschwindigkeit gefahren wird, ein Fahrzeug voraus fährt und die Fahrspurmarkierungen undeutlich sind, kann das System dem Fahrer helfen, dem vorausfahrenden Fahrzeug zu folgen.“
Die MG-Website zu Sicherheitsfunktionen bezeichnet dieses System als „Stauassistent“ und beschreibt seine Funktion so:
„Wenn das System dichten Verkehr oder einen Stau bei Geschwindigkeiten unter 60 km/h erkennt, kann der Fahrer den TJA aktivieren. Das Fahrzeug des Fahrers folgt dann automatisch dem vorausfahrenden Fahrzeug und steuert seine Beschleunigung, Bremsung und Lenkung innerhalb derselben Fahrspur.“
Was ist gemeint: Mit aktiviertem ACC im Modus TJA ist also auch ein Spurhalteassistent aktiv. Im Stau bremst der TJA dann ggf. bis zum Stillstand ab und fährt auch wieder selbsttätig an.
ELK = englisch „Emergency Lane Keeping“. Hat laut Broschüre nur die Luxury-Variante des MG4 Electric. Der Unterschied zum LKA ist offenbar der, dass der ELK ein wenig aggressiver zu Werke geht.
Das ist also des Rätsels Lösung: Auf meiner Probefahrt hatte ich zwar den LKA ausgeschaltet, aber der ACC war aktiv, und zwar im Modus TJA, und damit hatte ich automatisch noch einen Spurhalteassistenten an der Backe. ;-)
Im Infotainment-Screen lässt sich unter „MG-Pilot“ >>> „Fahrassistenzsystem“ >>> „Geschwindigkeitsregelmodus“ (das ist der ACC) im Unterpunkt „Modusauswahl“ der TJA abschalten, indem man statt dessen den Modus ACC aktiviert, siehe Titelbild. Dann hat man „nur“ die adaptive Geschwindigkeitsanpassung, ohne Spurhalteassi.
Ich betreibe den Screen meist im Dark-Mode. Als Sprache habe ich Englisch eingestellt, so verstehe ich manche Optionen einfach besser, die etwas unglücklich ins Deutsche übersetzt sind. Im Englischen ist es zu finden unter „MG-Pilot“ >>> „Drive Assist System“ >>> „Cruise Control Mode“ im Unterpunkt „Mode Select“:
Quelle: MG4-Produktbroschüre 092022
Ein Notfall-Spurhalteassistent, sofern verbaut, muss laut der VERORDNUNG (EU) 2019/2144 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 27. November 2019 „über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge im Hinblick auf ihre allgemeine Sicherheit und den Schutz der Fahrzeuginsassen und von ungeschützten Verkehrsteilnehmern“ bei jedem Fahrzeugstart aktiv sein.
In Artikel 3 „Begriffsbestimmungen“ heißt es:
(11) „Notfall-Spurhalteassistent“ bezeichnet ein System, das den Fahrer beim Halten einer sicheren Fahrzeugposition in Bezug auf die Spur- oder Straßenbegrenzung unterstützt, zumindest wenn das Fahrzeug die Fahrspur verlässt oder kurz davor ist, sie zu verlassen, und ein Zusammenstoß drohen könnte.
Und Artikel 7 „Besondere Anforderungen an Personenkraftwagen und leichte Nutzfahrzeuge“ führt aus:
(4) Hochentwickelte Notbremsassistenzsysteme und Notfall-Spurhalteassistenten müssen insbesondere folgende Anforderungen erfüllen:
a) Diese Systeme dürfen nur nacheinander durch eine Abfolge von vom Fahrer durchzuführenden Handlungen abgeschaltet werden können.
b) Die Systeme müssen sich bei jeder Aktivierung des Hauptkontrollschalters des Fahrzeugs im Normalbetrieb befinden.
Naheliegende Frage: Genügt nun nur der von MG so benannte und nur im Luxury verbaute/aktivierte Notfall-Spurhalteassistent dieser Definition oder ist schon der normale LKA von der Vorgabe betroffen?
Aktuell ist es so implementiert, dass auch der LKA im MG4 Standard und Comfort bei jedem Fahrzeugstart aktiv ist. Er lässt sich dann zwar abschalten, aber nicht dauerhaft. Bei Bedarf muss man die Abschaltung bei jedem Start erneut vornehmen. Ich ahne schon, das wird lästig werden…
Stay tuned!
« Zurück zu „KI-Interview“Weiter zu „Vorgezogene Auslieferung“ »